Es ist Neujahr. Sich an Neujahr etwas Produktives vorzunehmen, ist etwa so, wie an Silvester zu sagen, dass man keinen Alkohol trinkt. Ich verbringe Neujahr mit Rumliegen und möchte möglichst eine gute Serie dabei gucken. Netflix empfiehlt mir „La Mante“. Ich bin froh, dass mir die Entscheidung abgenommen wird. Dann aber der Schreck: „La Mante“ ist eine französische Serie. Gerade an Neujahr verlassen mich meine Kräfte, um deutsche Untertitel zu lesen. Diese Anstrengung schien mein geschundener Körper nicht zu verkraften, also starte ich die Serie mit deutscher Synchronisierung.
Entgegen vieler Hater und etlicher Diskussionen in meinem Freundeskreis lehne ich die deutsche Synchronisierung nicht grundsätzlich ab. Ich finde sie manchmal auch tatsächlich ganz gut und habe eher selten das Gefühl, dass sich die deutsche Synchronisation negativ auf die Serie auswirkt. Bei „La Mante“ ist das anders. Nach zirka 30 Minuten kann ich es einfach nicht mehr ertragen. Die Schauspieler wirken extrem künstlich, die Stimmen passen irgendwie gar nicht, ich finde überhaupt nicht in die Handlung, ohne von der schlechten Synchronisation irritiert zu werden. Ich mobilisierte schließlich alle meine Kräfte und gab der Serie noch einmal auf Französisch eine Chance. Mein selbstloser Einsatz wurde mit einer tollen, in den Bann ziehenden und bis zum Schluss sehr spannenden Serie belohnt.
„La Mante“ ist französisch für „die Gottesanbeterin“. So heißt auch der Spitzname von Jeanne Deber, einer inhaftierte Serienmörderin, die in Paris acht Männer auf sehr brutale Weise getötet hat. Nach 25 Jahren beginnen erneut Morde. Diese ähneln den Morden von „La Mante“ bis ins kleinste Detail. „La Mante“ erfährt im Gefängnis von den Vorkommnissen und bietet der Polizei ihre Hilfe zur Aufklärung an. Ihre Bedingung: Ihr Sohn Damien, der ebenfalls Polizist ist, soll der Einzige sein, der mit ihr reden darf. Damien übernimmt das Einsatzkommando und wird somit mit seiner Beziehung zu seiner Mutter und seiner Vergangenheit konfrontiert. Das damalige sehr innige Verhältnis zwischen Mutter und Sohn wurde durch Jeannes Verhaftung und ihren Geständnissen der Morde tiefgreifend gestört. Seither gibt Damien an, dass seine Mutter bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sei. Selbst seine Ehefrau Lucie weiß nichts von dieser Lüge, sie ahnt jedoch, dass Damiens auffälliges Verhalten sowie seine Alpträume im Zusammenhang mit seiner Mutter stehen. Während Damien mit sich und seinen verdrängten Gefühlen zu seiner Mutter kämpft und zeitgleich versucht, die gewalttätigen Morde zu stoppen, macht sich Lucie mit ihrer Freundin Virginie auf die Suche nach der Wahrheit über Damiens Mutter.
Immer mehr bekommt der Zuschauer Einblicke in die Psyche und die Motive für „La Mantes“ Morde.
Jeanne verübt Selbstjustiz. Sie will die „Ordnung wieder herstellen“ und Menschen vor dem Bösen schützen. So waren „La Mantes“ Opfer beispielsweise Väter, die ihre Kinder misshandelten, Vergewaltiger und Betrüger. Die Rechtfertigung der Opfer, durch ihre Infamie keinen Anspruch auf das Leben zu besitzen, ist ihre Rechtfertigung der großen Lustempfindungen beim Töten. Die Morde wirken dabei wie eine Vergeltung tiefer traumatischer Ereignisse in der Vergangenheit. Der Zuschauer ist hin- und hergerissen. Einerseits empfindet man eine Art von Verständnis gegenüber ihren Motiven, andererseits entwickelt man aufgrund der – auch dargestellten – Brutalität der verübten Morde Abscheu. Ständig beschäftigt man sich somit mit der Frage, ob „La Mante“ im Grunde gut oder böse ist.
Folglich ist die Gottesanbeterin ein passendes Serienmotiv für ein Wechselspiel von Gut und Böse. Die Gottesanbeterin wirkt durch ihre Physionomie „betend“, gleichzeitig ist die Gottesanbeterin jedoch auch dafür bekannt, nach der Paarung ihren männlichen Artgenossen aufzufressen.
„La Mante“ wirkt überlegt, introvertiert, rational, kalt und autoritär. Doch sind es kleine Gesten der Distanz, aber auch Gesten der Liebe zu ihrem Sohn, die den Zuschauer emotional aufwühlen.
Der Plot ist schnell, nimmt sich jedoch auch Zeit, die Charaktere in ihren inneren Konflikten zu beleuchten. Es gibt filmisch auch einige Raffinessen, wie zum Beispiel das Motiv des Badezimmers.
Das Badezimmer von Damien und Lucie, welches in der ersten Episode noch in Tageslicht erstrahlt, taucht in den folgenden Episoden in rotes Licht ein. Es wird der Schauplatz für Damiens tiefe emotionale Zerrissenheit und das Auftreten der verdrängten Vergangenheit. Das Badezimmer wird damit auch Ort seiner Regression. Das rote Licht steht dabei für seine verdrängte Vergangenheit, die in der Psychoanalyse mit dem Wunsch nach dem Rückzug in den Ursprung, den Mutterleib, versinnbildlich wird.
Es ergeben sich verschiedene Handlungsstränge und Verstrickungen. Man hat häufig das Gefühl, dass die Serie endet und sich der Fall aufgelöst hat und dann fragt man sich, um was es die nächsten Folgen wohl gehen wird. Jedoch bekommt die Serie oft sehr unerwartete Wendungen, die dabei natürlich und nicht künstlich konstruiert wirken.
„La Mante“ erinnert mich thematisch sehr an „Das Schweigen der Lämmer“ und wird wahrscheinlich auch jedem gefallen, der diese Art von Thriller liebt. Die Serie besticht durch tolle Kamerafahrten, sehr gute Schauspieler und mehrere sehr schön inszenierte Showdowns. „La Mante“ schließt mit einem großen Finale. Es bleibt kein offenes Ende, nur die Hoffnung, dass es eine zweite Staffel, ähnlich wie bei „Fargo“, mit einer neuen Geschichte, aber einer ebenso mitreißenden und schönen Inszenierung gibt. Merci.
Bilder: Netflix / TF1
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