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Mord verjährt nicht.

Review: „Das Geheimnis des Totenwaldes“ (Miniserie)

Mini-Spoiler
18. Dezember 2020, 13:29 Uhr
Mini-Spoiler
Chris
18.12.20

Totenwald

Alleine und ausgeliefert im großen Wald, mutterseelenallein, keine Hilfe in Sicht, die nächste Straße kilometerweit entfernt: Thema vieler Horrorfilme, Thriller und gruseliger Kindermärchen. Man denke nur an Hänsel und Gretel, die der Hexe ausgeliefert waren, als sie Schutz suchten, an das „Blair Witch Project“ (gut, schon wieder eine Hexe) oder an den 50er-Jahre Klassiker „Es geschah am hellichten Tag“, in dem der Mord eines kleinen Mädchens aufgeklärt werden soll. „Das Geheimnis des Totenwaldes“ – vielleicht mag der Titel wie der eines 80er-Jahre Groschenromans klingen, mit Geistern, Hexen und Gnomen. Doch lasst euch davon nicht täuschen. Hinter dem lahmen Titel steckt nämlich eine handfeste, sehenswerte deutsche Krimiserie, die unter anderem auf wahren Ereignissen beruht. Kern dieser von ARD und NDR produzierten Mini-Serie bilden die Ermittlungen an zwei Doppelmorden, die im Sommer 1989 wirklich so geschehen sind. Der echte Tatort, die „Göhrde“, eines der größten unbesiedelten Waldgebiete in Niedersachsen, wurde durch die Medien plakativ in „Totenwald“ umbenannt. Das lang anhaltende Medienecho und die Tatsache, dass diese Morde jahrzehntelang nicht aufgeklärt werden konnten, trugen dazu bei, dass jahrelang Spaziergänger und Ausflügler den Staatsforst, zuvor beliebtes Ausflugsziel, mieden. Zudem geht es um das Verschwinden einer Frau, die zufällig die Schwester des LKA-Leiters in Hamburg ist. Seit dem 04. Dezember können wir diese Mini-Serie mit sechs Episoden á rund 45 Minuten Laufzeit in der ARD-Mediathek finden und die Ermittler bei ihren Tätigkeiten beobachten.

Reale Vorkommnisse

Am 21. Mai 1989 begab sich das Hamburger Ehepaar Reinold in die Göhrde, um dort ihre Freizeit mit einem Spaziergang zu verbringen. Vermutlich noch an diesem Tag wurden beide Opfer eines kaltblütigen Mordes. Die beiden aufgrund der damals vorherrschenden hohen Temperaturen bereits stark verwesten, teils mumifizierten Leichname wurden am 12. Juli 1989 durch Blaubeersammler entdeckt. Suizid oder Unfall konnte die Kriminalpolizei bei den damals sofort anlaufenden Ermittlungen schnell ausschließen, es war klar: ein Mörder treibt sein Unwesen in der „Göhrde“. Noch am selben Tag wurde ein weiteres Liebespaar Opfer dieses Täters, der sich damit als Serienkiller qualifiziert hatte. Entdeckt wurden diese Leichen per Zufall gut zwei Wochen später, als die Polizei in Sachen Ehepaar Reinold auf Spurensuche im Waldgebiet unterwegs war und mit Suchhunden und einer Einsatzhundertschaft den damaligen Tatort durchkämmte. Diese Entdeckung führte zur Bildung einer 40-köpfigen Sonderkommission, welche im Laufe der Ermittlungen über 10.000 Menschen befragte und 1.911 Spurenakten angelegt hatte.

Das zeitgleiche Verschwinden der Fotografin Birgit Meier, Schwester des LKA-Leiters in Hamburg, schien zwar zunächst nicht in Zusammenhang mit den Morden zu stehen, spielte aber derzeit auch eine wichtige Rolle, sodass sie sogar über die Fernsehsendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ gesucht wurde. Es gab mehrere heiße Spuren, die sich allerdings nicht als zielführend herausstellten. Selbst private Ermittlungen durch pensionierte Beamte wurden durchgeführt und doch konnte die Polizei Niedersachsen erst im Dezember 2017 den ehemaligen Friedhofsgärtner Wichmann als dringend tatverdächtig für die Morde als auch für das Verschwinden von Meier bezeichnen. Der Stoff dieser Morde wurde dann vom NDR ursprünglich in einem dreiteiligen Spielfilm verarbeitet, welcher nun online als sechsteilige Mini-Serie abrufbar ist. Quelle: Wikipedia.

Zur Serie

Was dürfen wir erleben? Wir beobachten die örtlich für diese Morde zuständige Kriminalpolizei im fiktiven Weesenburg bei ihren Ermittlungen. Diese waren, wie es sich gegen Ende der 1980er Jahre eben zutrug, noch richtig papierlastig. Computer waren zu dieser Zeit Mangelware auf den Revieren. Wenn es diese gab, dann handelte es sich um stark „untermotorisierte“ Plastikkästen, die mit einem winzigen Monochrom-Röhrenmonitor verbunden waren und sich vorzugsweise in den Büros der ranghohen Polizei-Führungsoffiziere fanden. Die Ermittlerkollegen erstickten quasi in schreibtischhohen Papierbergen. Das wird auch alles realitätsnah gezeigt. Durch diese teils schon vom Alter vergilbten Aktenberge durften sich die Kollegen quälen, diese durch Vernehmungen unzähliger Zeugen noch weiter auftürmen. Welche Kriminalbeamte hier ermitteln dürfen, möchte ich nachfolgend kurz beschreiben.

Totenwald - LKA Chef

Beginnen wir mit dem ranghöchsten Beamten, dem frischgebackenen Leiter des Hamburger LKAs Thomas Bethge (Matthias Brandt).
Die erste Episode zeigt noch dessen Amtseinführung, führt uns in die Geschichte allgemein ein und klärt darüber auf, dass Thomas eine Schwester namens Barbara hat, die gerade in einem hässlichen Scheidungskrieg mit ihrem Mann Robert verwickelt ist. Thomas selbst lebt mit seiner Frau beschaulich und angenehm bescheiden und gibt ein nach außen hervorragend passendes Bild des stets gut gekleideten, gefassten LKA-Leiters ab. Nach Barbaras Verschwinden überwacht er die Fortschritte der Ermittlungen akribisch (obwohl der Tatort in Niedersachsen liegt und damit außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs) und darf später auch auf eigene Faust noch weitere Erkenntnisse gewinnen. Matthias Brandt verkörpert Thomas Bethge treffend und authentisch. Kein Wunder, hat er doch Erfahrung damit, Polizeibeamte zu spielen. So besetzte er in der ARD-Krimireihe „Polizeiruf“ 110 die Figur des Hauptkommissars Hanns von Meuffels, der von 2011 bis 2018 in insgesamt 15 Fällen ermittelte.

Totenwald

Weiter zu nennen ist die junge Ermittlerin Anne Bach (Karoline Schuch), die auch bereits in der ersten Episode zum sonst ausschließlich mit männlichen Kollegen besetzten Ermittlerteam stößt. Anfangs fällt es ihr schwer, als junge Frau im damals noch zu weit über 90% von Männern besetzten Beruf, Fuß zu fassen. Dazu muss man wissen, dass sich Frauen erst seit den 1960er Jahren bei der KriPo in Niedersachsens bewerben konnten, bei der uniformierten Schutzpolizei gar erst seit 1981 eingestellt werden konnten. Kein Wunder also, dass die sehr zierlich wirkende, blonde Frau sich erst bewähren muss, um ernst genommen zu werden. Im Team mit einem gestandenen männlichen Kollegen dürfte ihr das sicher leichter fallen, so wurde ihr ein solcher an die Seite gestellt: Kriminalobermeister (KOM) Jan Gerke.

Geheimnis des Totenwaldes

Kriminalobermeister Jan Gerke (August Wittgenstein) ist eben dieser gestandene, groß gewachsene und gut aussehende männliche Kollege, der, wie in den späten 1980er Jahren üblich, mit sogenannter ‚Rotzbremse‘ (Oberlippenbart à la Thomas Magnum) und hellbrauner Lederjacke samt dazu passender, rotbrauner-Krawatte geschniegelt und gebügelt Ermittlungsarbeit leistet. Er bremst die Kollegin Bach aus, wenn diese in ihrem (so scheint es) jugendlichem Überschwang übers (vorgegebene, beabsichtigte?) Ziel hinausschießt und Verdächtige findet, die nicht gefunden werden sollen oder gewollt Verdächtige als unverdächtig einstuft. Sie weiß es eben noch nicht besser, jung wie sie ist!

Geheimnis des Totenwaldes

Eine weitere weibliche Hauptperson darf nicht vergessen werden: Barbara Neder, 40 Jahre, noch verheiratet mit dem erfolgreichen Unternehmer Robert Neder. Barbara ist zufällig die Schwester des LKA-Chefs Thomas Bethge und leidet unter der durch ihren Noch-Ehemann eingereichten Scheidung. Sie flüchtet sich in exzessiven Alkoholkonsum und will dadurch der realen Welt entfliehen. Ihr Bruder Thomas nimmt sie eine Zeitlang bei sich auf, um ihr dabei zu helfen ihr Privatleben neu zu organisieren. Kaum zu Hause, nimmt sie an einer nachbarschaftlich arrangierten Gartenparty teil, greift wieder zum Alkohol und wird volltrunken von ihrem Nachbarn Jürgen Becker wohlbehalten zu Hause abgeliefert. Es gibt noch eine angebliche Aussprache mit Robert und am nächsten Morgen keine Barbara mehr. Diese ist nämlich verschwunden und bleibt es auch.

Zeitsprung – 30 Jahre in die Zukunft

Thomas Bethge ist mittlerweile im Ruhestand, seine Schwester Barbara noch immer nicht aufgetaucht oder aufgefunden worden. Niemand weiß, ob sie noch lebt oder längst verrottet unter der Erde liegt. Robert Neder, jahrelang Hauptverdächtiger aufgrund des ungeklärten Verschwindens seiner Noch-Ehefrau Barbara und die gemeinsame Tochter Theresa leiden noch unter den Auswirkungen der jahrzehntelangen Suche nach Frau und Mutter. Die Ermittlerin Anne Bach hat das Kommissariat in Weesenburg verlassen, hält aber noch Kontakt zu ihrem ehemaligen Mentor Bethge. Ein letzter gemeinsamer Versuch von Anne und Thomas, das Verschwinden von Barbara aufzuklären, schafft auch anderweitig Klarheit, was Ermittlungsmethoden der niedersächsischen Polizei angeht.

Geheimnis des Totenwaldes

Wie schon oben erwähnt: Unheimliche Wälder kennen wir Serienfans bereits hinlänglich – zuletzt dank der Netflix-Serie und deutschen Produktion „Dark“. Auch das hier betroffene Waldgebiet samt seiner dunklen Ecken und der tiefen, undurchdringlich scheinenden Dunkelheit kann ängstigen. Wälder haben die Menschheit schon immer fasziniert, waren stets Schauplatz von Gefahren, Verlockungen, Ängsten und Sehnsüchten. Der Vater von Hänsel und Gretel führte seine Kinder einst in den Wald um sie dort auszusetzen, Robin Hood und seine Spießgesellen lebten im Wald und nahmen von den Reichen um die erbeuteten Güter den Armen zu spenden. Märchenhaft ist dieser Staatsforst, in dem die beiden Doppelmorde stattfanden, nicht, spielt als Schauplatz und Tatort allerdings eine gewichtige Rolle. Hier trägt dieser Wald zur düsteren Stimmung bei und er „wirkt“ auf den Zuschauer ein. Es erscheint vorstellbar, dass so allerhand über die Jahrhunderte, die ein großer Wald an Geschichte miterlebt hat, dort vergraben wurde, Mensch und Tier ihr nicht immer rühmliches Ende hier fanden.

Allgemein wirkt das Setting der Serie sehr glaubhaft, der Cast ist stimmig, die Optik, Details, auch Kleinigkeiten wurden berücksichtigt. So fällt mir zum Beispiel auf, dass Barbara Neder bei jeder Gelegenheit und überall raucht, egal ob im Büro ihres Mannes oder im Auto ihres Bruders. Der Glimmstängel selbst ist in unserem 21. Jahrhundert eine Seltenheit, zumindest innerhalb geschlossener Räume, in den 1980ern und auch später gehörte er aber einfach dazu. Auch bei der Polizei wurde in den Amtsstuben bis Anfang des 21. Jahrhunderts fleißig gepafft und gequalmt. Nur ein Detail, aber ein passendes eben. Auch die Frisuren, die Kleidung und die Oberlippenbärte der männlichen Darsteller, all das wirkt so klassisch „1980er“, dass es einfach Spaß macht, diese Zeit für einige kurze Folgen der Serie, quasi als Trittbrettfahrer, nochmals passiv mitzuerleben.

Die Serie selbst zeigt eindrucksvoll, wie das Versagen einzelner Personen, seien es Ermittler der Mordkommission oder Beamte der örtlichen Staatsanwaltschaft, erhebliche Auswirkungen auf das Leben von Hinterbliebenen haben kann. Wer kann es sich schon vorstellen wie es wäre, wenn die eigene Mutter 30 Jahre lang verschwunden bleibt oder eben als Hinterbliebener, wenn die eigenen Eltern einem heimtückischen Mord zum Opfer fallen, es der Polizei aber nicht (nie) gelingt, den wahren Täter zu ermitteln. Man will Gerechtigkeit, Justitia soll richten, der Täter muss ganz einfach lebenslang (und zwar wirklich lebenslang) hinter Gitter und für seine Taten büßen. Das sagt einem das eigene Gefühl für Recht und Gerechtigkeit. Unvorstellbar, wenn persönliche Fehler einzelner Menschen Ermittlungserfolge verhindern und den noch lebenden „Opfern“ jahrzehntelang nur Ungewissheit und Verzweiflung bleiben.

Ich habe bewusst nur sehr wenig Informationen über den mutmaßlichen Täter hier veröffentlicht, um euch den Spaß an der Serie nicht durch zu viele unliebsame Spoiler zu vergällen. Mit großem Interesse verfolgte ich die Spurensuche der Protagonisten, die dabei immer wieder herbe Rückschläge erleiden mussten. Dass sie trotzdem nicht aufgegeben haben, hat mir wirklich imponiert.

Lasst euch darauf ein und schaltet ein bei dieser True-Crime-Mini Serie aus deutschen Landen. Ihr werdet es nicht bereuen!

„Denn Mord, hat er schon keine Zunge, spricht mit wundervollen Stimmen.“
(William Shakespeare)

Bilder: ARD, ZDF

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