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Sechs Folgen lang tiefe Einblicke in die entscheidende Phase der Volkspartei

Serientipp: Kevin Kühnert und die SPD (NDR-Doku)

Mini-Spoiler
30. Oktober 2021, 11:55 Uhr
Mini-Spoiler
Michael
30.10.21

Eine sechsteilige Serie über die gute alte SPD, und dann noch mit Kevin Kühnert als Protagonisten? Klingt jetzt nicht nach der interessantesten Ausgangssituation, wird aber tatsächlich zu einer der spannendsten Politik-Dokumentationen, die bislang produziert wurden. Im Direct Cinema-Stil verfolgen Katharina Schiele und Lucas Stratmann Kevin Kühnert drei Jahre lang von der Landtagswahl 2018 in Hessen bis zur Bundestagswahl 2021 – und die beste Dramaturgie liefert dabei die Realität selber ab, vermutlich zur Überraschung aller Beteiligten.

Katharina Schiele und Lucas Stratmann wollten mit „Kevin Kühnert und die SPD“ ein unverfälschtes, direktes Bild von Politik in Deutschland zeigen, ein Bild einer ehemals großen Volkspartei zeichnen, die 2018 schlichtweg am Boden lag. Es hagelte massive Verluste bei der Landtagswahl in Hessen, übrigens auch für die CDU, was sogar Kanzlerin Angela Merkel dazu veranlasste, ihren Parteivorsitz bei der CDU aufzugeben. Bei der SPD hingegen passierte – nichts: Andrea Nahles blieb im Amt, für die SPD ging’s weiter bergab.

Das ist der Ausgangspunkt der sechsteiligen Doku. Katharina Schiele hatte bei der Hessenwahl im Willy-Brandt-Haus gefilmt, der Parteizentrale der SPD. Es herrschte Totenstille, und das war der Moment, in dem sie merkte, dass die kommenden Jahre zur entscheidenden Phase in der Entwicklung der SPD werden würde. Sie hatte die Idee zu einer Langzeitstudie, überlegte erst, den ältesten Ortsverein der SPD zu dokumentieren, dann mit verschiedenen SPD-Politiker:innen zu sprechen – setzte dann aber gemeinsam mit Lucas Stratmann alles auf eine Karte und fragte Kevin Kühnert, den Stratmann aus einer früheren Produktion kannte. Man bot an, kein Material vor der Bundestagswahl 2021 zu veröffentlichen – der entscheidende Punkt für Kühnert, der schließlich zusagte (mehr zu den Hintergründen gibt es hier im Interview mit den beiden Dokumentarfilmern).

In der Folge begleiteten die beiden Kühnert bei wichtigen Prozessen, waren nur außen vor, wenn Dritte beteiligt waren, die nicht zu sehen sein wollten, oder wenn es um direkte Parteiinterna ging. Doch auch abseits dessen bleibt so extrem viel intimes Material übrig, dass man einen sehr tiefen Einblick in das Wirken Kevin Kühnerts und in die Seele der SPD zwischen 2018 und 2021 bekommt. Zu viel gutes Material für einen einfachen Dokufilm, aber da gibt es ja noch das Doku-Serienformat, das die 3 Jahre perfekt in Etappen einteilen konnte. Europawahlkampf, Nahles‘ Abschied, Kühnerts Provokation im ZEIT-Interview (Stichwort „BMW enteignen“), der Wettstreit um den SPD-Vorsitz – perfekte Etappen, jeweils in 35 bis 40 Minuten komprimiert und dennoch mit viel Raum für bemerkenswerte Stille inszeniert.

Dramaturgisch sind diese Folgen perfekt aufgebaut, und man ist immer wieder verblüfft über die Offenheit aller Beteiligten. Wenn Kevin Kühnert zum Beispiel Olaf Scholz nicht gerade in bestem Licht stehen lässt, wenn er Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken coacht und diese fleißig mitschreiben, was ihnen Kevin Kühnert so vorzuschreiben hat. Dazwischen feinste Partei-Strategie, Einblicke in die Diskussionen im Richtungsstreit der SPD, Besuche bei Ortsvereinen, das Pflichtprogramm auf dem Lande – Politiker sein, ein Fulltime-Job, der viel Strategie erfordert, jede Menge Geduld und hier und da auch einfach Gleichgültigkeit, in der man das Basisdemokratische eben durchzieht. Dazwischen gibt’s Gespräche mit anderen Politikern, auch mit der CDU-Nachwuchshoffnung Philipp Amthor übrigens, der angibt, ebenfalls für eine Langzeit-Doku angefragt worden zu sein, aber abgelehnt habe. So hat er auch mehr Zeit, die letzte Staffel von „House of Cards“ endlich zu sehe, sagt er – derweil der eine sich die fiktiven Politikstrategen anschaut, fädelt der andere schon die nächste Strategie in der Realität ein. Empfehlung an Philipp Amthor: Nach „House of Cards“ unbedingt „Kevin Kühnert und die SPD“ schauen.

Dann kommt Corona, ein Bruch in jedem Leben, gefühlt auch ein Bruch in der Doku. Es gibt weniger zu begleiten, weniger zu produzieren. Die Doku verliert etwas an Fahrt, wird mehr zur Chronisten-Doku – ein bisschen schade, aber immerhin hilft die Realität am Ende nochmal dramaturgisch aus, als die SPD im Bundestagswahlkampf auf einmal einen fulminanten Endspurt hinlegt und die CDU am Ende sogar überholt. Olaf Scholz als Kanzler? Soweit ist die Realität noch nicht, und das macht auch die Doku am Ende gar nicht zum Thema. Olaf Scholz ist nur eine Nebenfigur, so wie Walter-Borjans oder Esken, wie Hubertus Heil oder Lars Klingbeil. Sondern vielmehr, dass Kevin Kühnert am Ende als großer Stratege erkannt wird, der die Jusos zu einer starken Stimme in der SPD gemacht hat, der mit der Sozialismus-Diskussion absichtlich provoziert hat, als es um den Richtungsstreit in der Partei ging, der sich quasi die neuen SPD-Vorsitzenden ausgesucht hat, die unter ihm die Partei führen sollten, der ein Bundestag-Direktmandat in seiner Heimatstadt Berlin gewinnt und am Ende erreicht hat, was ihm immer wichtig war: Die SPD neu aufzustellen, mit den aus seiner Sicht richtigen Werten, für die diese Volkspartei lange Jahre vor Gerhard Schröder stand, und erfolgreich zu sein.

Spanend, dass man bei diesem Prozess dabeisein konnte, und eine definitive Empfehlung für alle, die sich für Politik interessieren. Und meiner Meinung nach auch ein Pflichtprogramm für den Politikunterricht an Schulen. Die sechs Folgen gibt es in der ARD Mediathek sowie bei Youtube.

Bilder: NDR / Lucas Stratmann

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