Es kracht in der Late Night-Landschaft des US-Fernsehens: „Jimmy Kimmel Live“, seit Jahren ein Fixpunkt satirisch-politischer Late-Night-Unterhaltung und beständige Stimme inmitten des US-amerikanischen Meinungsgewitters, wurde überraschend von Disney und ABC aus dem Programm genommen. Die Entscheidung fällt wenige Tage nach einem politisch und gesellschaftlich aufgeladenen Attentat auf den rechten Aktivisten Charlie Kirk – und trifft die Show mitten in einem Amerika, das ohnehin zu brodeln scheint – und das wenige Wochen, nachdem CBS die „Late Show with Stephen Colbert“ abgesetzt hat (wir haben hier im Blog darüber berichtet). Während einige Stars und Kreative ihren Unmut lautstark bekunden und für die freie Rede trommeln, wundert es mich, dass von einer großen gesellschaftlichen Aufruhr nicht viel zu spüren ist. Wo bleibt er, der Proteststurm? Während sich die Talkshow-Landschaft sortiert und sich Hollywood solidarisch zeigt, bleibt ein mulmiges Gefühl: Ist das jetzt die neue amerikanische Wirklichkeit, in der Meinungsfreiheit eine Verhandlungsmasse zwischen Politik, Aufsichtsbehörden und Sendergruppen geworden ist?
Der Ausgangspunkt: Jimmy Kimmel nimmt Stellung zu den Ereignissen rund um Charlie Kirk
Was ist passiert? Am 18. September 2025 verkündete ABC, im Besitz von Disney, das überraschende Aus für „Jimmy Kimmel Live“. Angeblich aus „aktuellen Anlässen“, tatsächlich aber wohl auf massiven politischen Druck nach Kimmels satirischen Bemerkungen über die Ermordung des rechten Aktivisten Charlie Kirk. Der Sender erklärt nicht genau, welche Aussagen von Kimmel zur Entscheidung der Absetzung der Sendung geführt hat. In der gemeinten Sendung sagte Kimmel wörtlich: „Wir sahen einen Tiefpunkt mit der Maga-Gang, die versucht, den Jungen, der Charlie Kirk ermordete, nicht als einen von ihnen darzustellen, und alles tut, um das politisch auszunutzen.“ Außerdem machte Kimmel Kommentare zu Trumps Art der Trauerbewältigung.
Offizielle Statements der Sendeverantwortlichen bleiben schwammig und betonen, dass man sich in einer sensiblen Phase nationaler politischer Diskussionen zu diesem Schritt gezwungen sehe. In Wahrheit mehren sich die Hinweise, dass politische Einflussnahme – etwa durch den unter Trump ernannten FCC-Chef Brandon Carr und Fernsehkonglomerate wie Nexstar – die entscheidende Rolle gespielt haben. Carr fasste seine Einschätzung mit Worten zusammen, die in vielen Ohren nach Drohung klangen: „Es ist Zeit für die lokalen Sender, sich zu wehren“ – wenig später verbannten Nexstar und weitere Betreiber Kimmels Show aus ihrem Programm. Nur Stunden später stoppte Disney die Sendung komplett. Offensichtlich auch, weil Jimmy Kimmel einen noch schärferen Monolog für die Sendung am Mittwoch vorbereitet hatte. Die Senderverantwortlichen hatten versucht, Kimmel dazu zu bewegen, den Monolog abzuschwächen – wozu er wohl nicht bereit gewesen sei, wie es beim Tagesspiegel in Bezug auf eine CNN-Recherche heißt.
Die ersten Reaktionen der Kreativen von Damon Lindelof bis Pedro Pascal
Die Mediendebatte, wie so oft in den USA, drehte sich schon nach wenigen Stunden um weit mehr als um Geschmacklosigkeit oder Pietät in einer Talkshow. „Ein weiteres Indiz dafür, dass es schlecht steht um die Meinungsfreiheit in den USA“, urteilte „Reporter ohne Grenzen“ laut DER SPIEGEL. Tatsächlich gab sogar Disney-internes Kreativpersonal seinen Unmut kund: Damon Lindelof, Erfinder von „Lost“, erklärte auf Instagram: „Ich war fassungslos, untröstlich und empört über die Aussetzung, die gestern angekündigt wurde, und erwarte deren rasche Rücknahme. Falls das nicht geschieht, kann ich nicht guten Gewissens mit dem verantwortlichen Unternehmen zusammenarbeiten.“ („I was stunned, disheartened, and outraged by the suspension announced yesterday and eagerly anticipate its prompt reversal. If that does not happen, I cannot in good conscience associate myself with the company responsible for this action.“). Lindelofs Boykott-Aufruf stieß in Hollywood auf Zustimmung: Auch die Writer’s Guild of America und führende Gewerkschaften sehen laut Variety durch die Suspendierung einen Angriff auf die Meinungsfreiheit. „Was wir unterschrieben haben – so schmerzhaft es manchmal auch sein mag –, ist die befreiende Übereinkunft, unterschiedlicher Meinung zu sein“, hieß es in einer Erklärung der US-Drehbuchautorengewerkschaft Writers Guild of America. „Schande über diejenigen in der Regierung, die diese grundlegende Wahrheit vergessen.“
Absolute Late Night-Highlights (mal wieder): Die Reaktionen von Jon Stewart und Jimmy Fallon
Jon Stewart, selbst Ikone des amerikanischen politischen Humors, trieb es in seiner Reaktion auf die Spitze. In der „Daily Show“, charmant-bissig wie eh und je, stellte er sich den Zuschauern als „Ihr patriotisch gehorsamer Moderator der brandneuen, von der Regierung genehmigten Daily Show“ vor. Und lässt mit ironischer Breite keinen Zweifel an seiner Kritik: „Einige Nein-Sager mögen argumentieren, die Bedenken dieser Regierung hinsichtlich Redefreiheit seien nur ein zynischer Trick, um Machtkonzentration und Einschüchterung zu verschleiern. Manche Leute würden das sagen – ich allerdings nicht, ich finde es großartig.“ („Some naysayers might argue this government’s concerns about free speech are just a cynical trick to cover up an unprecedented consolidation of power and intimidation. Some people might say that — not me, I think it’s wonderful.“).
Auch die verbliebenen Talkshow-Kollegen zeigten klare Solidarität: Jimmy Fallon nannte Kimmel in seiner Show einen „anständigen und lustigen Kerl“ und betonte, er hoffe, „dass er zurückkommt“ („He’s a decent and funny guy. I hope he’ll be back.“). Er sagte auch, er selbst werde so weitermachen wie bisher und über Trump das sagen, was er denke. Bei seinen folgenden Statements wurden allerdings immer ausschließlich positive Sätze über Trump aus dem Off über seine eigentlichen Aussagen gelegt. Seth Meyers, bekannt für seinen sezierenden Humor, legte ironisch nach: „Unabhängig davon möchte ich nur sagen: Ich habe Herrn Trump immer bewundert und respektiert.“ („And regardless, I just want to say: I’ve always admired and respected Mr. Trump.“).
Zu den Schauspielern, die Stellung bezogen, zählt Pedro Pascal. Der Star aus „The Last of Us“ und Marvels „Fantastic Four“ postete auf Instagram die Botschaft: „Stehe zu dir, Jimmy Kimmel Live! Verteidigt #Meinungsfreiheit. Verteidigt #Demokratie.“ („Standing with you, Jimmy Kimmel Live! Defend #FreeSpeech. Defend #DEMOCRACY.“). Auf kritische Kommentare zu seinem Engagement zeigte sich Pascal gewohnt schlagfertig und konterte mit „Yay Gay“, ein Satz, mit dem er einerseits Solidarität, andererseits sein Markenzeichen, queere Sichtbarkeit und Toleranz, versinnbildlicht. Schauspielkollegin und Oscar-Preisträgerin Marisa Tomei, die im „Spiderman“-Franchise Tante May spielte, repostet einen Aufruf, den Konzern und alle seine Sender zu boykottieren und das Abo zu kündigen, schreibt das Magazin „The Hollywood Reporter“. Mark Ruffalo („Hulk“, „Avengers“) sagte auf einer Veranstaltung: „Meine Branche versteht im Moment nicht wirklich, was passiert, aber was sie sehr wohl versteht, ist, dass unsere Redefreiheit angegriffen wird.“
Wo bleiben die Massenproteste?
Diese Statements unterstreichen, dass die Absetzung weit über Showbusiness hinausweist. Doch trotz Star-Boykotts, Gewerkschafts-Solidarität und internationaler Kritik bleibt die große Massenbewegung in der US-Bevölkerung aus. Ja, Fans in Los Angeles waren entsetzt, es gab Hashtags und Twitter-Proteste – aber keine landesweiten Demos, keine Protestmärsche auf den Straßen, wie sie etwa das Thema Polizeigewalt oder Abtreibung mobilisiert hat.
Und genau das macht nachdenklich: Warum gibt es bei so einem ungeheuren Eingriff in die Kommunikationskultur keine breite Welle der Empörung unter der US-Bevölkerung? Ist die Meinungsfreiheit inzwischen so selbstverständlich oder so angegriffen, dass sie von einer Mehrheit nur noch passiv wahrgenommen wird? Ich erinnere mich an die beiden Wahlkämpfe von Donald Trump, bevor er jeweils zum US-Präsidenten gewählt wurde – als man hierzulande kaum daran glauben konnte, dass Trump wirklich gewählt würde. Aber knapp die Hälfte der US-Bürger (die zur Wahl gegangen sind), unterstützen offensichtlich Trump. Wenn sich auch jetzt kaum Widerstand regt (nur einige Fans von Jimmy Kimmel hattenj sich vor dem Studio versammelt), ist es offensichtlich dieses neue Bild von den USA, das gerade entsteht.
Und es wird ja weitergehen. Trump attackiert seit Langem die Late-Night-Moderatoren, die ihn verspotten. Am Mittwoch hatte er den Sender NBC aufgefordert, nun auch die Sendungen von Jimmy Fallon und Seth Meyers abzusetzen, die er als „Versager“ schmähte. Die Entscheidung von ABC, Kimmels Sendung abzusetzen, feierte Trump gar als „großartige Neuigkeiten für Amerika“. Und er griff aktiv in die Maßnahmen ein: „Ich meine, sie bekommen eine Lizenz. Ich würde denken, dass ihnen vielleicht ihre Lizenz entzogen werden sollte. Das wird Brendan Carr entscheiden müssen.“
Dier Entwicklungen reichen bis zu uns: Hier wurden die ZDF-Journalisten Dunja Hayali und Elmar Theveßen wegen Aussagen im Rahmen ihrer Berichterstattung zur Ermordung des ultrarechten Aktivisten Kirk bedroht, wie es beim Deutschlandfunk heißt. Die Schriftstellervereinigung PEN Deutschland und die Journalistengewerkschaft dju hatten sich hinter die beiden gestellt. Die öffentliche Debatte radikalisiere sich von höchster politischer Ebene bis hinunter zum digitalen Stammtisch, warnten die Organisationen. Theveßen, Leiter des ZDF-Studios in Washington, hatte im Rahmen der Berichterstattung über das Kirk-Attentat Kritik am rechtskonservativen Umfeld von Präsident Trump geäußert. Teile der US-Administration forderten daraufhin sogar, ihm das Visum zu entziehen. Die Heute-Journal-Moderatorin Hayali wurde wegen kritischer Anmerkungen in ihrer Anmoderation zum Fall Kirk mit Hasskommentaren und Todesdrohungen vor allem aus rechten Kreisen überzogen. Sie hat eine Social Media-Pause eingelegt.
Aus persönlicher Sicht drängt sich das Gefühl auf, dass mit der Absetzung von „Jimmy Kimmel Live“ eine rote Linie überschritten wurde. Dass ein Sender eine kritische Satire-Show auf politischen Druck hin aussetzt, ist ein Verstoß gegen das Prinzip der freien Rede, wie es der erste Zusatz der US-Verfassung garantiert (mehr zu den Hintergründen im Beitrag des Deutschlandfunks). Es ist ein fatales Signal – und es erstaunt, dass die große Protestwelle ausgeblieben ist. Die schweigende Mehrheit sollte nicht zur Normalität werden – sonst droht das Recht auf freie Rede tatsächlich zur verhandelbaren Variable zu verkommen.
Bilder: ABC
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