Ich muss ja zugeben, dass ich mir nicht so wirklich vorstellen konnte, dass es von „The Man in the High Castle“ noch weitere Staffeln nach der – zudem sehr guten – ersten Staffel geben könnte. Und als Amazon sie dann doch ankündigte, dass sie irgendwie funktionieren könnten. Bei Staffel 2 behielt ich – für mich – dann auch Recht, sie fiel gegenüber Staffel 1 deutlich ab. Aber Staffel 3 machte dann vieles besser – und ließ mich am Ende begeistert zurück. Was würde also Staffel 4 bringen, fragte ich mich, und wie würde Amazon damit die Serie zu Ende bringen? Wir mussten lange auf die Antworten warten.
Zunächst einmal endete Staffel 3 natürlich mit einem hervorragenden offenen Ende. Juliana verschwindet, John Smith bleibt verwundert und entsetzt zurück – das ließ natürlich sehr viel Raum für Spekulationen und Interpretationen. Zudem war klar, dass Staffel 4 unweigerlich auf eine Konfrontation zwischen John und Juliana hinauslaufen würde.
Der andere John Smith
Das Tor zum Wandel zwischen den Welten hatte Tagomi am Ende Staffel 1 geöffnet – und bedauerlicherweise schafft es dieser wunderbare Charakter nicht in die 4. Staffel. Gleich zu Beginn fällt er einem Attentat zum Opfer, wir bekommen ihn gar nicht mehr zu sehen – schade. Dafür landet Juliana in einer Parallelwelt – und verbringt gleich mal mehrere Monate dort, bei einer glücklichen Familie namens – Smith. Die Frage nach „Was wäre wenn“ wird an dieser Familie in der Folge besonders schön deutlich gemacht – John ist ein Ex-Soldat, der sich ganz solide als Vertreter durchschlägt, seine Frau ist die glückliche, lockere Ehefrau, und Thomas lebt in dieser Welt auch noch. Richtig Drive bekommt diese familiäre Parallelgeschichte natürlich, wenn John aus der von Nazis regierten Welt den Platz seines Parallel-Ichs einnimmt: Wie er nach und nach erkennt, was möglich gewesen wäre, hätte sich seine Welt anders entwickelt. Wie überwältigt er ist, wenn er seinen Sohn wiedersieht, oder seinen ehemals besten Freund, den er in seiner Welt verraten musste. Dabei lernen wir auch viel über diesen Ex-US-Soldaten John Smith, der sich irgendwie in sein Schicksal ergeben hat, ergeben musste, um in der Welt zu überleben – als Nazi. Das sind schon starke Momente und sicher die besten der ganzen Serie.
Das in dieser Welt irgendwas nicht stimmt, haben seine Frau und eine seiner Töchter längst gemerkt. Sie leben in der neutralen Zone und lassen so das Ansehen von John merklich bröckeln. Der kann irgendwann nicht mehr anders als seine Familie zurückzuholen. In der Folge ist es spannend zu sehen, wie Helen die brave Frau des Nazi-Befehlshabers zu spielen versucht, derweil das System immer stärkere Kontrollebenen einzieht, um die Familie gefügig zu halten.
Japan gibt auf
Parallel sehen wir, was an der Westküste passiert. Das instabile Japan kapituliert vor den Protesten der amerikanischen Bevölkerung und zieht sich zurück. Auch das ist ein spannend erzählter Moment: Wie geht das auf einmal, wenn sich eine Nation zurückzieht, die über Jahre das Leben in einem besetzten Land beherrscht hat? Wer tritt in das Vakuum? Die Showrunner erzählen entlang an verschiedenen Einzelschicksalen: Viele Japaner wollen flüchten, andere machen längst ihr Business in Amerika und wissen, dass sie auch dann noch gebraucht werden, wenn das Land geräumt ist. Dafür wollen mit Japan sympathisierende Amerikaner das Land verlassen, schaffen es aber nicht, auf die Schiffe zu kommen. Es ist einfach spannend, diese politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu beobachten – und immer im Hinterkopf zu haben, dass egal, was die Japaner und Amerikaner an der Pazifikküste machen – die Nazis werden kommen.
In diesen Momenten steht die Serie das eine oder andere Mal vor der Gefahr, falsch abzubiegen. Da wird zum Beispiel die amerikanische Flagge wieder ausgerollt, doch bevor es hier zu patriotisch oder kitschig wird, wird einfach klar gemacht, dass es das alte Amerika nicht mehr geben wird – einfach weil es damals nicht funktioniert hat und unter den neuen Gegebenheiten auch nicht mehr funktionieren würde. Wirklich nicht? Ganz am Ende scheint es dann doch noch einen Weg für EIN Amerika zu geben – wenn die Befehlsgewalt der amerikanischen Nazis einem überzeugten Amerikaner in die Hände fällt, der gerade noch den Angriff auf San Francisco abwenden kann.
Warum kann das nicht John Smith? Auch das ist toll erzählt. Er erhält nämlich durch eine strategisch clever eingefädelte Intrige seine Macht in Amerika. Diese Wendung war sehr geschickt angelegt, und man spürt in der nächsten Zeit förmlich, wie Smith immer mehr mit dem System funktioniert; wie er in die Maschinerie gerät, wie er einfach das macht, was von ihm erwartet wird, mag es noch so drastisch, so abwegig, so widerlich sein. Erst am Ende, im Zug, wird ihm bewusst, was da eigentlich geschieht: Seine Frau fragt ihn, warum er diese ungeheuren Pläne nicht stoppt – und er sagt in einer Mischung aus Schock und Verzweiflung, er wisse nicht, wie er das machen sollte. Alles sehr beklemmend, und irgendwie auch gar nicht so weit weg von unserer eigenen Realität. Auch das löst die Serie also am Ende sehr gut.
Ich habe am Ende noch überlegt, ob die Autoren mit den Namen der Smith-Familie etwas aussagen wollten, mit Blick auf historische ‚Vorbilder‘, sozusagen. John könnte man in Verbindung mit Johannes aus dem neuen Testament bringen, so mit Blick auf Offenbarung und Apokalypse. Johns Sohn heißt Thomas, was auf den ungläubigen Thomas hindeuten könnte, einen Zweifler, einen, der hinterfragt. Müsste man sich vielleicht nochmal die Namensliste vornehmen und schauen, ob da eine Systematik drinsteckt.
The Man in the High Castle zwischen den Welten
Wie ich das wirkliche Ende der Serie finden soll, weiß ich noch nicht so wirklich. Irgendwie ist der Übergang zwischen den Welten auf einmal möglich, und die Menschen aus anderen Welten strömen in diese Welt. Und der „Man in the High Castle“ entschließt sich, die anderen Welten kennenzulernen. Warum der Übergang auf einmal möglich ist, wird nicht erklärt. Auch wie Juliana der Übergang vorher möglich war, und wie die Nazis den Übergang schaffen konnten, bleibt größtenteils offen – ist für mich auch in Ordnung, eine Erklärung hätte der Geschichte vielleicht einen gewissen Zauber genommen. So kann man immerhin schön spekulieren, wie diese Welten wohl funktionieren können, wenn man zwischen ihnen wechseln kann. Unterschiedlich genug sind sie ja, wie wir an diesen beiden Welten schon sehen konnten.
Um nochmal auf die Eingangsüberlegung zurück zu kommen: Ich war ja skeptisch, dass das mit weiteren Staffeln „The Man in the High Castle“ funktionieren könnte. Aber wie gesagt, Staffel 3 und 4 haben mich eines Besseren belehrt. Die Story wurde überzeugend weitererzählt, ohne auf der einen Seite zu sehr ins Absurde oder auf der anderen Seite zu sehr ins (amerikanisch) Patriotische abzudriften. Vielmehr hat sich die Serie Zeit genommen, das Gefährliche, das Beklemmende der Nazi-Herrschaft mit all ihren Ideologien zu erzählen – und zwar ganz dicht an den Menschen, mit vielen Emotionen und erschütternden Erkenntnissen. So wird die Serie in gewisser Weise auch zu einem Lehrstück für unsere Welt, ohne oberlehrerhaft daher zu kommen. Diesen ganzen Fettnäpfchen aus dem Weg zu gehen, war schon eine Kunst für sich. Umso schöner, dass die Serie noch mehr leisten konnte.
Eine Weltklasse gemachte Serie die genau dieses nicht tat was die meisten Serien Heute tun. Sehr gut beschrieben im Arrtikel Hier. Staffel 2 war schwach, aber bei diesen beiden finalen Staffeln 3 und 4 ist das zu verzeihen. Eines bleibt noch ohne jetzt allzu moralisch werden zu wollen…., man kann sehr viel mitnehmen über uns Menschen und vielleicht auch über sich.
Danke Dir, Nico. Und ging mir auch so: Eigentlich schade um Staffel 2, aber der Endspurt entschädigt für vieles. :-)
Ich fand das Ende von Smith nicht so überzeugend wie geschildert. Jeder Mensch seines Formats hätte etwas anderes gemacht, sofern er der Überzeugung ist. Und das war er ja im Grunde. Verhaltensforscher werden das sicher bestätigen. Es wurde ein Antagonist stilisiert und der konnte nunmal nicht überleben. Er hätte Amerika wiederherstellen können. Das hat er nicht, er macht dort weiter wo seine Vrgänger aufgehört hatten…das ist unlogisch. Sein Tod war der Dramaturgie geschuldet….eigentlich schade.
Bin deiner Meinung, ich hatte bis zum Ende die Hoffnung, er stellt Amerika wieder her und war schon fertig als es anders kam
Smith ist durch und durch Faschist. Er hasst alles, was nicht in sein Weltbild passt. Er musste daher genau das machen und sein letzter Befehl ist der Angriff auf SF. Das zeigt, dass er letztlich trotz Zweifeln an seinem wahnsinnigen Plan festgehalten hat. Mit ihm hätte es daher nur ein vereintes faschistisches Amerika geben können.
Es ist ein logisches Ende. Er hätte natürlich überleben können, aber die Macht musste ihm genommen werden, egal wie.
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