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IN KOOPERATION MIT MIRKO HEIMANN

Filme und Serien über die 1920er: Darum sind sie so ein Dauerbrenner und begeistern uns

Spoilerfrei
25. Juli 2023, 06:47 Uhr
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25.07.23

stock.adobe.com © Archivist

[Dieser Beitrag wurde von Mirko Heimann verfasst]

„Peaky Blinders“, „Der große Gatsby“, „Babylon Berlin“, „The Artist“, „Boardwalk Empire“, „Babylon“, „The Porter“ – und noch viele, viele mehr. Allein, wenn wir uns auf dieses Jahrtausend konzentrieren, dann gibt es daraus genug in den 1920ern angesiedelten Film- und Serienstoff, um für die nächsten Monate nicht mehr überlegen oder recherchieren zu müssen.

Keine Frage, Filme und Serien, die in den „Roaring Twenties“ oder „Jazz Age“ angesiedelt sind, gibt es nachweislich schon mindestens, seitdem 1932 „The Crash“ herauskam, in dem der Wallstreet-Börsencrash von 1929 den Hintergrund bildete. Allerdings ist es doch schon ziemlich auffällig, wie groß die Dichte seit zirka 25 Jahren geworden ist.

Stellt sich die Frage: Woran liegts? Warum können uns die 1920er immer wieder in ihren Bann und vor den Bildschirm ziehen? So viel sei bereits verraten: Mehrere, nicht zwingend miteinander verbundene Gründe.

Grund 1: Der zeitliche Abstand

Geschichte wird in der kollektiven Wahrnehmung meistens erst dann so richtig „geschichtlich“, wenn die, die sie noch am eigenen Leib erlebten, nicht mehr unter uns weilen. Mittlerweile leben auf der ganzen Welt nur noch eine kleine Handvoll Menschen, die die 1920er noch bewusst mitbekommen haben, nicht bloß als Babys oder Kleinkinder.

Das heißt, für die absolute Mehrheit sind die 1920s ähnlich Vergangenheit wie der Wilde Westen oder die napoleonische Ära. Wenn so etwas eintritt, also eine Epoche aus menschlichen Gründen jene Schwelle überschreitet, hinter der sie „in die Geschichte eintritt“, dann entsteht oftmals ein erneutes Interesse. Für die 1920er ist das seit etwa dem Jahrtausendwechsel der Fall. Aktuell jähren sich viele Ereignisse von damals zum hundertsten Mal. Das ruft viel Interesse hervor.

Grund 2: Der empfundene Beginn der Moderne

Für Historiker begann die Epoche der Neuzeit bereits um 1500 herum. Für die meisten Nichthistoriker hingegen liegt dieses Datum deutlich woanders – dort, wo das Leben erstmalig an vielen Stellen mit heutigen Verhältnissen vergleichbar wurde. Erneut können die 1920er hier punkten.

Dieses Jahrzehnt war eines der extremen Umbrüche und Erfindungen. Eine kleine Liste:

  • Frauenwahlrechte wurden in vielen Ländern eingeführt und generell wurden Frauen viel emanzipierter.
  • Rundfunk wurde zu einem Massenphänomen.
  • Autos und Motorräder wurden für breite Schichten erschwinglich.
  • Das Telefon breitete sich allmählich aus.
  • Die USA und ihre Kultur wurden in der Welt federführend, nachdem Großbritannien diese Rolle zuvor innehatte.
  • Es war eine Zeit großer politische Umbrüche – und Extreme.
  • Die zivile Fliegerei begann ihren Siegeszug, nachdem der Erste Weltkrieg (1914-1918) sie rasch erwachsen gemacht hatte.
  • Büroarbeit wurde immer wichtiger – ebenso wie Frauenarbeit.

Kurzum: Die 1920er sind aus heutiger Sicht vieler Menschen das erste Jahrzehnt, in dem das Leben sich mit unserer Gegenwart vergleichen lässt. Die gesellschaftlichen und beruflichen Realitäten hatten ebenso viele Parallelen zum hier und jetzt wie der damals stark und schnell ansteigende Technisierungsgrad des Alltags.

Das macht es in Filmen und Serien viel leichter, sich in die Geschehnisse hineinzuversetzen. Gleichzeitig liegen die Twenties jedoch weit genug zurück, um trotzdem bestechend anders zu sein.

stock.adobe.com © Jean-Claude Caprara

Grund 3: Prohibition und Gangstertum

Am 17. Januar 1920 wurde in den gesamten USA Herstellung, Transport und Verkauf von Alkohol verboten – selbst wenn der Konsum selbst legal blieb, handelte es sich um ein De-Facto Alkoholverbot.

Gedacht war das Gesetz als Maßnahme zur Eindämmung alkoholbedingter Probleme wie Gewalt, Krankheit oder Korruption. Gebracht hat es in der Retrospektive jedoch genau das Gegenteil. Insbesondere, weil die Durchsetzung des Verbots sehr schwach war, explodierte das organisierte Verbrechen regelrecht.

Die Mafia, zuvor eine vernachlässigbare Randerscheinung, wurde zu einer extrem mächtigen und reichen Organisation. Zigtausende „Flüsterkneipen“ wurden eröffnet und zuverlässig mit illegal hergestelltem oder importiertem Alkohol versorgt. Zusammen mit Musik, Mode und Lebenseinstellung ergab das eine Mixtur.

Diese Mixtur ist es, was die 20s aus heutiger Sicht filmreif macht. Gangster- und Spielernaturen, darunter der größte und berüchtigtste von allen, Al Capone, kamen auf. In den illegalen Kneipen ging es jede Nacht wie auf einer riesigen Party zu – und schon mehrere Jahrzehnte vor der „sexuellen Revolution“ war man damals ziemlich promiskuitiv zugange; auch hier in Deutschland.

Dadurch, dass das alles so viele Facetten hat, die sich medial verwerten lassen, bietet sich ein riesiges Feld, um immer wieder und wieder neue Storys auf den 1920ern aufzubauen, ohne sich zu wiederholen oder allzu tief in die Phantasiekiste greifen zu müssen.

Grund 4: Die Optik

Steve Buscemi im Doppelreiher-Anzug, steifer Kragen, Rose in der Brusttasche, auf dem Kopf einen Homburg. Ein Bild, dem man den Gentleman-Gangster in „Boardwalk Empire“ blind abkauft – und das ziemlich was hermacht.

Oder das: Paul Andersen mit Schnauzbart. Die Haare an den Seiten wegrasiert, den Rest nach hinten gekämmt und unter einer Ballonmütze versteckt. Zum Tweed-Anzug (natürlich mit Weste) ein langer Mantel und darunter ein XXL-Revolver im Schulterholster.

Was in den jüngsten beiden Jahrzehnten an Filmen und Serien über die 1920s herausgebracht wurde, gab sich sehr viel Mühe, den damaligen Look absolut authentisch wiederzugeben. Und die meisten Zuschauer befinden: Es sieht einfach grandios aus.

Egal ob Männer- und Frauenmode, Architektur und Einrichtung, Frisuren, Autos, Technik – ja sogar die in den meisten Filmen und Serien unvermeidbaren Schießeisen haben einfach einen ganz distinktiven Look. Und im Gegensatz zum Stil vieler anderer Jahrzehnte (besonders solchen, die danach kamen), wurde vieles später nicht nochmal aufgegriffen und dadurch seiner Verbindung mit den 1920ern beraubt.

Vielleicht war es auch das letzte Jahrzehnt, in dem die Alltagsmode noch einen Hauch von Glamour versprühte. Zweifelsohne jedoch wirkt das optische Gesamtpaket auf viele Betrachter richtig gut – und macht daher beim Anschauen neben Story und Setting zumindest zusätzlichen Spaß.

© stock.adobe.com © Archivist

Grund 5: Die damalige Mittelschicht

Zugegeben, in vielen Serien und Filmen, die damals spielen, kommen typische „Menschen wie du und ich“ nur am Rande vor. Wo sie das aber tun, entsteht erneut für viele Zuschauer eine interessante Möglichkeit, um sich mit den Charakteren zu identifizieren.

Insbesondere in den USA, aber ebenso bei uns in Deutschland nach dem Ende der extremen Inflation 1923, bildete sich nicht nur eine echte Mittelschicht heraus, sondern sie konnte von einem stark wachsenden Wohlstand profitieren.

In den Jahrzehnten zuvor waren die gesellschaftlichen Extreme deutlich stärker ausgeprägt. Es gab die (vielerorts regelrecht ausgebeutete) Arbeiterklasse und die Reichen – dazwischen nicht wirklich viel.

Da jedoch viele Nationen in dieser Zeit einen Aufschwung erlebten, konnten deutlich mehr Menschen profitieren. Das führt uns zum heutigen Zuschauer: Sowohl extreme Armut als auch ebensolcher Reichtum dürften für viele eher abstrakt sein; die meisten sind eben irgendwo in der Mittel- oder wenigstens oberen Unterschicht angesiedelt.

Das Leben damaliger Mittelschichtler mag zwar vielfach deutlich anders gewesen sein – an anderen Stellen jedoch gibt es viele Schnittmengen. Das sorgt für Selbstidentifikation und Sympathie und somit einmal mehr für medialen Erfolg.

Grund 6: Lange Zeit ignoriert – zumindest hier

In den USA wird den Roaring Twenties filmisch schon seit vielen Jahrzehnten gehuldigt. In Deutschland hingegen war das Thema bis zirka zur Jahrtausendwende zwar nicht wirklich vergessen, aber definitiv deutlich weniger präsent.

Dahinter stehen verschiedene Gründe:

  1. Der Erste und Zweite Weltkrieg sowie die Zeit des Nationalsozialismus werfen einen geradezu riesigen Schatten auf die Epoche.
  2. Bis zirka 1923 war Deutschland nicht nur von einer extremen Inflation, sondern von politischen Unruhen geprägt. Es gab Putschversuche und zahllose Menschen aus verschiedenen politischen Lagern lehnten die erste deutsche Republik und Demokratie rundweg ab oder bekämpften sie sogar.
  3. Bereits Ende 1929 begann durch den Börsen-Crash eine erneute Verelendung, der viel dazu beitrug, letztlich die Nationalsozialisten an die Macht zu bringen – mit entsprechenden Folgen.

Das bedeutet, aus deutscher Sicht haben wir es nur mit knapp sechs halbwegs „ruhigen“ Jahren innerhalb der 1920er zu tun. Doch selbst innerhalb dieser lässt sich fast nichts machen, ohne schon des Realismus‘ wegen entweder auf den Ersten Weltkrieg oder die Nazis abzuheben. Gut zu sehen im vier-Staffel-Epos „Babylon Berlin“, wo beides sogar eine tragende Rolle spielt.

Lange Zeit spielten die 20er deshalb eine ziemlich vernachlässigte Rolle in der deutschen Medienlandschaft. Es muss nicht zwangsweise der Erfolg von diesbezüglichen Filmen und Serien in den USA schuld sein. Aber definitiv hat sich das Interesse bei uns nachhaltig gewandelt. Die Weimarer Republik wird als durchaus tauglicher Background empfunden, weshalb es auch deutsche Produktionen hier zu Erfolg bringen – und im Fall von „Babylon Berlin“ sogar zu „standing Ovations“.

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